Wir bewegen Zeit
Ob in der Notaufnahme, bei der Nierentransplantation oder in der Küche – im Spital spielt Zeit eine zentrale Rolle. Doch sie tickt nicht überall gleich: Während in manchen Bereichen jede Sekunde zählt, schlägt sie anderswo einen ruhigeren Takt an.
Die ersten Stunden
Ein paar Wochen zu früh, eine Geburt mit Komplikationen – und plötzlich scheint die Welt stillzustehen. Manchmal verläuft der Start ins Leben nicht so, wie es sich Eltern für ihr Kind wünschen. Dann wird die Neonatologie für viele zu einem geschützten und vertrauten Zuhause auf Zeit.
Text: Martina Kaiser
Foto: Reto Martin
Ein gesundes Baby, ein gemütliches Familienzimmer, viel Zeit zum Kennenlernen und Kuscheln – so stellen sich wohl die meisten Eltern die perfekten ersten Stunden mit ihrem kleinen Schatz vor. Doch nicht immer beginnt das Leben wie erhofft. Manchmal kommt es vor, während oder nach der Geburt zu Komplikationen. Was für die Eltern als emotionaler Höhepunkt begann, kann für das Team der Neonatologie zu einem medizinischen Notfall werden.
Solche zeitkritischen Momente hat Ellen Wild schon einige erlebt in den dreieinhalb Jahren, in denen sie als Pflegeexpertin auf der Neonatologie tätig ist. Davor arbeitete sie 20 Jahre lang auf der Intensivstation des Ostschweizer Kinderspitals. Ein Erlebnis beschäftigt die 46-Jährige heute noch: der Einsatz im OP, bei dem zwei Teams der Neonatologie und der Geburtshilfe gleichzeitig Mutter und Kind reanimieren mussten. Überlebt hat nur das Baby. Auch auf der Neonatologie selbst kann es zu lebensbedrohlichen Situationen bei Säuglingen kommen – etwa durch Atemnot, Infektionen oder kreislaufbedingte Verschlechterungen. In solchen Situationen muss das Team der Neonatologie innert kürzester Zeit entscheiden, ob das Kind weiter auf der Station behandelt oder auf die Intensivstation des Kinderspitals verlegt werden muss.
Es gibt aber auch die anderen Momente. Jene, in denen eine Aufnahme auf der Neonatologie bereits vor der Geburt geplant ist, oder solche, in denen sich erst einige Stunden nach der Geburt Anpassungsschwierigkeiten beim Baby bemerkbar machen. Ein zu tiefer Blutzucker beispielsweise. Oder ein erhöhter Bilirubinwert. Dann erfolgt die Verlegung auf die Neonatologie ohne Eile und oft auch gemeinsam mit den Eltern. Sie werden in die einzelnen Schritte mit einbezogen, dürfen dabei sein, wenn Blut abgenommen oder eine Magensonde gelegt wird. Für sie wird die Station zu einem Zuhause auf Zeit. Wie lange diese Zeit dauert, ist ungewiss. Bei manchen sind es 48 Stunden, bei anderen zwei bis drei Monate. «Wir können den Eltern kein genaues Austrittsdatum nennen, da wir nicht wissen, wie sich der Zustand des Kindes entwickelt», sagt Ellen Wild. «Wir spüren dann manchmal schon die Enttäuschung. Gleichzeitig aber tragen wir die Verantwortung, genau abzuwägen, wann es nötig ist, das Kind noch zu überwachen, und wann es an der Zeit ist, es mit gutem Gewissen nach Hause zu entlassen.» Bei Frühgeborenen sei der errechnete Geburtstermin ein Richtwert. «Planen können wir aber jeweils lediglich für die nächsten paar Stunden.»
Für die Eltern bleibt die Zeit – und mit ihr die ganze Welt – stehen. Tag und Nacht gehen sie im Stundentakt auf der Station ein und aus: Väter, die Fläschchen mit abgepumpter Muttermilch vom Wochenbett bringen, Mütter, die teils von weit her anreisen, um zu stillen, zu wickeln – oder einfach nur bei ihrem Baby zu sein. Jeder der zehn liebevoll eingerichteten Plätze trägt den Namen eines Neugeborenen und ist mit einem weichen Nestchen ausgestattet, in dem die Kleinen geborgen liegen. Manche haben einen Nuggi, ein Stofftier oder ein Nuschi mit dem vertrauten Duft der Eltern bei sich. Daneben: eine Ablage mit Stillkissen und bequemer Kleidung der Mutter, etwas zu trinken oder zu essen. Eine kleine geschützte Insel, abgeschirmt von der Aussenwelt.
Irgendwann ist er da – der Moment, in dem es nach Hause geht. Ein neuer Abschnitt beginnt. Die Zeit auf der Neonatologie aber bleibt.
Die letzten Stunden
Wenn das Lebensende naht, verliert die Zeit ihre Geschwindigkeit. Fürsorge und menschliche Nähe rücken in den Vordergrund. Ein Einblick in die letzten Stunden auf der Palliativstation des Kantonsspitals St.Gallen.
Text: Martina Kaiser
Foto: Reto Martin
Es ist ruhig geworden, der medizinische Lärm gedämpft. Kein Hasten mehr von einer Behandlung zur nächsten. Einfach sein. Lucia Müller* sitzt in ihrem Zimmer und beobachtet durch das Fenster das Treiben ausserhalb des Palliativstation. Es sind keine Jahre oder Monate, die sie und die anderen Patientinnen und Patienten hier verbringen. Im Schnitt sind es 10 bis 14 Tage. Ein Drittel davon verstirbt, der Grossteil aber wird entlassen: nach Hause mit palliativer Unterstützung, in eine Pflegeinstitution oder in ein Hospiz. Lucia Müller bleibt.
Die 83–Jährige hat Krebs, so wie die meisten Patientinnen und Patienten hier, die restlichen 30 Prozent leiden vorwiegend an kardiologischen oder neurologischen Erkrankungen. Trotz ihrer fortgeschrittenen Erkrankung und der Tatsache, dass sie sich in einem Spital befindet, kann Lucia Müller ihren Tagesablauf weitgehend nach ihren Bedürfnissen gestalten. So schläft sie morgens gerne etwas länger. «Entschleunigung ist gerade in dieser Lebensphase besonders wichtig. Auf der Palliativstation steht die Lebensqualität im Vordergrund – Patientinnen und Patienten haben Zeit für sich selbst und Unterstützung durch ein spezialisiertes, interprofessionelles Team», sagt Dr. Mirjam Buschor, Zentrumsleiterin des Palliativzentrums. Auch sollen Ziele und Wünsche für die verbleibende Lebenszeit gemeinsam besprochen werden. Ob bestimmte Medikamente abgesetzt werden beispielsweise. Oder wie lange Therapien dauern sollen. «Es gibt Patientinnen und Patienten, die möchten die Geburt ihres Enkels erleben. Oder die Hochzeit ihres Sohnes. Wir unterstützen sie dabei so weit wie möglich», sagt Mirjam Buschor.
Lucia Müllers Atemmuster hat sich verändert. Angehörige werden informiert, Behandlungen wie Physiotherapie, Ernährungs- und Sozialberatung eingestellt. Nur die Musiktherapie wird fortgesetzt. Die sanften Klänge beruhigen Lucia Müller. In den letzten Stunden steht das Wohlbefinden im Vordergrund. Dazu gehört eine regelmässige Symptomkontrolle, wie die Behandlung von Schmerzen, Atemnot, Unruhe und Angst. Entschleunigung ist wichtig, nicht nur für die Patientinnen und Patienten, auch für die Angehörigen. Zeit, zu überlegen, zu reflektieren und darüber zu sprechen, was gerade passiert.
Die Seelsorge ist da und bereitet ein Abschiedsritual vor. Lucia Müllers Schlafphasen werden länger, ihr Körper entspannt sich zunehmend, lässt los. Die Zeit scheint stillzustehen. Ihre Atmung wird flacher, bis sie schliesslich ganz ausbleibt. Obwohl sich dieser Prozess für die Angehörigen wie eine Ewigkeit anfühlt, sind nur wenige Stunden vergangen. «Der Sterbeprozess ist sehr individuell, ähnlich wie am Anfang des Lebens», sagt Mirjam Buschor. «Die einen kommen schnell auf die Welt, die anderen langsam. Und so ist es auch beim Sterben.»
*Name von der Redaktion geändert
Menüs im Minutentakt
Bis zu 3800 Mahlzeiten verlassen täglich die Grossküche am Standort St.Gallen. Damit das Essen pünktlich bei den Patientinnen und Patienten sowie den Mitarbeitenden ankommt, muss jeder Handgriff sitzen.
Text: Marion Loher
Fotos: Reto Martin
Noch wenige Minuten, dann beginnt in der Grossküche am Standort St.Gallen eine erste heisse Phase: Das Mittagessen für bis zu 600 Patientinnen und Patienten muss angerichtet werden. Zuvor wurden Rüebli gedämpft und Schnitzel gebraten, laktosefreie Saucen angerührt und Mahlzeiten püriert. Jetzt ist alles vorbereitet. Die Tabletts liegen bereit, die Wärmewagen mit den einzelnen Komponenten ebenfalls. 20 Mitarbeitende stehen am Speiseverteilband und warten. Noch ein kurzer Spass mit dem Gegenüber, dann wird es still. Alle Blicke sind auf das Band gerichtet, das sich pünktlich um 10:40 Uhr in Bewegung setzt.
Eingespieltes Team mit Erfahrung
Die Küche in St.Gallen ist ein hochkomplexes Logistikzentrum, in dem alles nach Plan laufen muss. Die Abläufe sind minutiös getaktet. Sabrina Guntersweiler ist seit drei Jahren Küchenchefin am Standort St.Gallen und verantwortlich für 50 Mitarbeitende der Abteilung Küche, die für die Produktion aller Mahlzeiten zuständig sind. Weitere 32 Mitarbeitende der Abteilung Werterhaltung & Service sind für die Reinigung sowie 7 Mitarbeitende der Abteilung Lebensmitteleinkauf für die Bestellungen und Lagerbewirtschaftung verantwortlich. Selbst steht die ausgebildete Diätköchin nicht mehr am Herd, ihre Arbeit konzentriert sich auf die Menüplanung und auf Managementaufgaben. «Das Wichtigste für einen reibungslosen Ablauf sind die Mitarbeitenden», sagt die 42-Jährige. «Ohne sie geht nichts.»
Die Küchencrew ist ein eingespieltes Team mit viel Erfahrung. Jede und jeder weiss, was sie oder er zu tun hat. «Nur so können wir garantieren, dass Hunderte von individuell zusammengestellten Menüs rechtzeitig bereitstehen.» Die Planung aller Mahlzeiten erledigt die Küchenchefin über das Menübestellsystem Sanalogic. Hier werden die Menüs für die Patientinnen und Patienten und die drei Mitarbeitendenrestaurants vorbereitet. «Wir haben rund 60 verschiedene Kostformen, alle mit entsprechenden Standardmenüs. Aber die Patienten können sich ihr Essen auch selbst zusammenstellen», sagt sie. Sonderkostformen für Allergien, spezielle Diäten oder aus religiös-kulturellen Gründen werden durch die Diätköchinnen und -köche zubereitet. «Da wir zum grössten Teil frisch und regional kochen, werden die meisten Produkte am frühen Morgen des gleichen Tages geliefert.»
In der Grossküche hat das Anrichten der Menüs begonnen. Als Erstes legt eine Mitarbeiterin die Tabletts samt Patientenkarte auf das Förderband. Auf dieser Karte sind alle wichtigen Angaben zum Menü vermerkt, sodass die Kolleginnen und Kollegen am Band wissen, welche Komponenten auf den Teller kommen. Auf dem einen liegen keine Beilagen, dafür Rüebli, Brokkoli und etwas Fleisch. Auf dem anderen landet ein Schöpflöffel Teigwaren mit Sauce, und auf einem weiteren wird das Gemüse püriert serviert. Alle im Team arbeiten hochkonzentriert, jeder Handgriff sitzt. Am Ende kontrolliert ein Diätkoch das gesamte Menü, dann wird der Teller zugedeckt und das Tablett zum Abtransport in den Wagen gestellt.
Neue Küche ab Frühling 2026
Für die Küchencrew beginnt der Tag früh am Morgen. Einer der ersten ist der «Kafi-Koch». Er fängt um 5:30 Uhr an und brüht den Kaffee auf. Kurz danach startet die Produktion des Frühstücks, und um Punkt 6:50 Uhr werden die Tabletts auf dem Speiseverteilband mit Butter, Brot und Birchermüesli gefüllt. Sabrina Guntersweiler und ihr Team arbeiten zurzeit im Provisorium. «Das ist manchmal eine Herausforderung», sagt sie. Umso grösser ist die Vorfreude auf den Frühling 2026: Dann zieht das Team in die neue Grossküche im Haus 25. «Den Platz brauchen wir dringend, da mit dem OKS und der Geriatrischen Klinik St.Gallen neue Patienten- und Mitarbeitendengruppen dazukommen.»
In St.Gallen verlassen jeden Tag bis zu 3800 Mahlzeiten für Patientinnen und Patienten sowie für Mitarbeitende die Küche. In Grabs sind es täglich rund 560 Mahlzeiten, in Wil 435, in Uznach 330 und in Altstätten 317. Seit dem Zusammenschluss aller vier Spitalverbunde arbeiten die Küchen der verschiedenen Standorte unter dem Dach des Hospitality- Managements enger zusammen, das sind insgesamt 325 Mitarbeitende (St.Gallen: 190, Grabs & Altstätten: 70, Wil: 35, Uznach: 30). Es gibt regelmässige Meetings der Leitungsteams, um den Austausch zu fördern. Zudem wurden bereits erste Prozesse harmonisiert, wie ein Teil des Kostformenkatalogs. Menüplanung und Produktion laufen aber noch unabhängig. «Die Standorte sind bezüglich Grösse, Infrastruktur und Kundengruppen ziemlich unterschiedlich», sagt Sabrina Guntersweiler. Daher werde regelmässig geprüft, wo eine Standardisierung einen Mehrwert darstelle und autonome Lösungen sinnvoll seien.
Nach dem Essen ist vor dem Essen
Nach gut einer Stunde sind alle Mittagsmenüs für die Patientinnen und Patienten angerichtet, und die letzten Wagen rollen zu den Stationen. Etwa 40 dieser Wagen sind täglich drei Mal im Einsatz, damit jede Mahlzeit pünktlich ankommt. Sobald alle beliefert sind, kehren sie mit leeren Tellern und Tabletts zurück. Das Team der Werterhaltung reinigt alles und macht es bereit für die nächste Mahlzeit. Parallel dazu werden die drei Spitalrestaurants versorgt. «Da die Küche dezentral liegt, braucht es eine gute Abstimmung mit der Restauration», sagt Sabrina Guntersweiler. In der Küche laufen derweil bereits die Vorbereitungen für das Abendessen: Pünktlich um 16:50 Uhr startet das Speiseverteilband ein weiteres Mal.
Mehr Arbeitszeit dank smarter Systeme
Neue digitale Systeme und Tools sollen den Mitarbeitenden mehr Zeit für die Betreuung der Patientinnen und Patienten verschaffen. Mit dem Roll-out des neuen Klinikinformationssystems (KISIM) an allen Spitalstandorten ist ein wichtiger Schritt gelungen – KISIM vereinfacht den Klinikalltag spürbar.
Text: Léonie Nef
Illustration: Die Gestalter AG
Das neue Klinikinformationssystem (KISIM) macht Schluss mit Papierbergen und langem Suchen: Alle Patientendaten, Termine und Behandlungen sind digital und jederzeit verfügbar – egal ob am Computer, auf dem Teamboard oder per Smartphone. Laborwerte stehen sofort bereit, Wunden lassen sich unkompliziert per Foto dokumentieren und Berichte können mit Spracherkennung schnell und sicher erfasst werden. So werden administrative Abläufe vereinfacht, das Team wird entlastet und wertvolle Arbeitszeit für die Patientenbetreuung gewonnen.
Mehr Übersicht im Medikationsprozess
Auch die Patientensicherheit profitiert von den digitalen Werkzeugen. Der Clinical Decision Support überprüft Verordnungen automatisch und informiert Ärztinnen und Ärzte bei möglichen Wechselwirkungen von Medikamenten, Doppelverordnungen oder Überdosierungen. Mit dem eMediplan erhalten Patientinnen und Patienten eine übersichtliche Medikamentenliste mit klaren Einnahmeanweisungen. Zudem sehen sie auf einen Blick, wofür ein Arzneimittel gedacht ist und welche Ärztin oder welcher Arzt es verordnet hat. Das elektronische Rezept wird voraussichtlich Ende dieses Jahres eingeführt. Auf den Stationen kommt zudem der Closed-Loop-Prozess zum Einsatz, der durch KISIM Mobile unterstützt wird: Beim Richten werden Packung und Tablette als Bild auf dem Gerät angezeigt, bei der Kontrolle wird überprüft, ob die Medikamente dem richtigen Patienten zugeordnet sind. Die Abgabe wird anschliessend direkt im System dokumentiert.
Grundstein für die digitale Zukunft
«KISIM ist eine wertvolle Unterstützung im Alltag. Es entlastet die Mitarbeitenden, trägt zur Patientensicherheit bei und legt die Grundlage für weitere Digitalisierungsschritte», sagt Christian Holderegger, Programmleiter newKIS. «Parallel zur Einführung von KISIM werden weitere strategische Plattformen aufgebaut. Durch die gezielte Vernetzung dieser Systeme lässt sich das Digitalisierungspotenzial im Kerngeschäft schrittweise und nachhaltig realisieren», ergänzt Michael Hilty, Leiter Digitalisierung und Innovation.
Mehr Infos: h-och.ch/digital
Ein Job unter Zeitdruck
Wird ein Organ verfügbar, beginnt für Wolfgang Ender ein Wettlauf gegen die Zeit. Als Transplantationskoordinator organisiert er Nierentransplantationen und Organspenden.
Text: Marion Loher
Foto: Reto Martin
Ob mitten in der Nacht, auf einer Skitour oder im Büro: Wenn Wolfgang Enders Handy klingelt und auf dem Display «Swisstransplant» steht, weiss er sofort, dass es schnell gehen muss. Er springt aus dem Bett, bricht die Skitour ab oder verlässt das Büro, um sich vor Ort um die Organisation der Organtransplantation oder Organentnahme zu kümmern. «Ab diesem Moment läuft alles strikt nach Plan», sagt er. «Jede Minute zählt, jeder Schritt muss stimmen.»
Seit 2008 arbeitet Wolfgang Ender als Transplantationskoordinator am Standort St.Gallen und ist das Bindeglied zu Swisstransplant. Nach seiner Ausbildung zur Pflegefachkraft hat sich der Vorarlberger in der Anästhesie weitergebildet und Erfahrungen in verschiedenen Spitälern in Österreich, Norwegen und der Schweiz gesammelt. In St.Gallen ist er Teil eines vierköpfigen Teams, das rund um die Uhr abrufbereit ist. 90 Tage im Jahr hat er Rufbereitschaft. «Wir müssen jederzeit loslegen können», sagt er. Für besonders lange Einsätze steht in seinem Büro sogar ein Klappbett bereit.
Alles stehen und liegen lassen
Wolfgang Ender koordiniert sowohl Transplantationen als auch Organspenden. Am Standort St.Gallen werden ausschliesslich Nieren transplantiert. Sobald irgendwo in der Schweiz eine Niere verfügbar wird, erhält er einen Anruf von Swisstransplant und informiert den diensthabenden Kaderarzt. Gemeinsam prüfen sie die medizinischen Daten des potenziellen Organspenders in der nationalen Datenbank Swiss Organ Allocation System (SOAS) und beurteilen, ob das Organ geeignet ist.
Gibt der Arzt grünes Licht, stellt Wolfgang Ender sicher, dass der vorgesehene Empfänger oder die Empfängerin erreichbar ist und der Gesundheitszustand einen sofortigen Eingriff zulässt. Danach meldet er die Operation an, damit die unterschiedlichen Teams Bescheid wissen, bespricht sich mit den Ärztinnen und Ärzten und informiert das Labor für letzte Kontrollen. «Innerhalb von zwölf Stunden ist die Niere transplantiert.»
Im Jahr 2024 standen schweizweit 1413 Menschen auf der Warteliste für eine neue Niere. 395 Nieren wurden transplantiert, davon 24 in St.Gallen. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt etwa drei Jahre; bei Herzund Lebertransplantationen rund ein Jahr.
Kommt der Anruf aus der Intensivstation, muss Wolfgang Ender ebenfalls alles stehen und liegen lassen. Sobald eine Patientin oder ein Patient verstorben ist, dessen Angehörige einer Organspende zugestimmt haben, und wenn die Intensivmediziner ihn dafür geeignet halten, startet er die medizinischen Abklärungen. Dazu gehören umfangreiche Blutuntersuchungen, serologische Tests und Organevaluationen. Alle Daten werden ins SOAS eingetragen. Swisstransplant berechnet damit die Rangliste der potenziellen Empfängerinnen und Empfänger. Daraus entstehen Organangebote; zuerst innerhalb der Schweiz, dann allenfalls im Ausland.
Wenn Herz, Lunge oder Leber entnommen werden, reisen externe Teams von anderen Spitälern nach St.Gallen. Wolfgang Ender organisiert ihre Ankunft, holt sie vom Helikopter ab, begleitet sie in den Operationssaal und sorgt dafür, dass alles bereitsteht. Ist alles abgeschlossen, begleitet er den verstorbenen Spender oder die verstorbene Spenderin würdevoll in den Aufbahrungsraum. Danach beginnt für ihn die administrative Nachbearbeitung. Vom ersten Anruf aus der Intensivstation bis zur Organentnahme verstreichen oft nur 24 Stunden.
Dankesbrief und Mahnmal
Sein Job endet aber nicht mit dem Schliessen der OP-Türen. Besonders wichtig ist ihm die Betreuung der Angehörigen. Er sucht bewusst den Kontakt, erklärt, beantwortet Fragen, hört zu. Vier bis sechs Wochen nach der Spende schreibt er den Hinterbliebenen einen Brief, als Dankeschön und Rückmeldung, was die Spende bewirkt hat. Selbstverständlich anonymisiert. «Wir möchten ihnen zeigen, dass ihr Entscheid Leben gerettet hat», sagt er. Auf dem Spitalareal erinnert ein Denkmal an die Spenderinnen und Spender, auch das ist ihm ein persönliches Anliegen.
Mit dem Zeitdruck kann er gut umgehen. «Ich habe gelernt abzuschalten», sagt er. Am besten gelingt ihm das in der Familie oder draussen in der Natur, wo er im Sommer und im Winter gerne unterwegs ist.